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Kunst der Beobachtung

“Der Künstler lehrt die Kunst der Beobachtung der Dinge”
Bertolt Brecht


Eine konzentrierte, tiefe Beobachtung ist, wie wir wissen, die Hauptbeschäftigung eines jeden Malers. Dabei ist es irrelevant, ob man die »äußere« oder »innere« Welt betrachtet; ob man Inspiration für seine Malerei in seiner Umgebung sucht, oder mit der Absicht malt, einen bildnerischen Ausdruck für psychische Zustände zu finden. Der Schlüssel und die beste Schulung der »Kunst der Beobachtung« liegen in der Aufmerksamkeit, die man – wie praktisch! – seinen eigenen Bildern schenkt!

Zum Prozess der bildnerischen Gestaltung gehören geruhsame Arbeitspausen, in denen das Geschaffene einfach nur betrachtet wird. Denn seien wir ehrlich: Wir können einen klaren bildnerischen Ausdruck unserer Eigenart und unserer Individualität nicht finden, wenn wir nicht zu herausfinden wissen, was jenseits des Geschmacks und einer dekorativen Wirkung der Flächen, Formen und Farben – allesamt Sachen, die fremdbestimmt in uns herumgeistern – in unseren Bildern zustande kommt. Paradoxerweise sind genau diese Inhalte diejenigen, die man besonders leicht übersieht. Dies ist kein Wunder, denn wir haben Übung darin: Tagtäglich stürmen auf uns Unmengen an visuellen Informationen ein; unzählige geradezu teuflisch verführerische Bilder, die, von Medienprofis hergestellt, unsere Wahrnehmung lenken und ablenken.

(Es ist kein Geheimnis, dass ein ruhiger, psychisch stabiler Mensch ein Spaßverderber, mehr noch! – ein regelrechter Widersacher unserer konsumistischen Welt ist, den man um jeden Preis verhindern soll. Denn für die Beteiligung am Zirkus des Konsums braucht man möglichst große seelische Zerstreuung, die bekanntlich einen heißen Durst nach immer mehr Inhalt, Input, Ablenkung, Beschäftigung zu Folge hat. Damit ist sicher nichts Neues gesagt. Aber man soll sich immer wieder vergegenwärtigen, was unsere Wahrnehmung »schult« und bestimmt. … Die Kunst dagegen gehört – das glauben wir zumindest immer noch – zu den wenigen »freien Orten«, wo wir zu uns finden können und wo wir die Regie über unser Tun und Machen ein wenig selbst führen dürfen.)

Nun, wie soll man beobachten? Gibt es eine spezielle Technik dafür? Ja, die gibt es. Sie lässt sich aber nicht ohne Weiteres erklären … Ähnlich wie bei einer streng gehüteten Geheimlehre, für deren Vermittlung ein rigoroser Initiationsritus vorgesehen ist, ist auch die »Lehre« von künstlerischer Beobachtung – unsere Kunst vor der Kunst – eigentlich so einfach, dass man sie aus Furcht nicht ernst genommen zu werden am liebsten geheim halten und nur für wenige Auserwählte reservieren möchte.  Ich werde hier drei klassischen Übungsgelegenheiten nennen, von denen keiner ein Geheimtipp ist, aber zu selten, geschweige denn richtig erprobt werden. Doch Achtung! – nur diejenige von euch, die sich jetzt mit voller Überzeugung auserwählt fühlen, dürfen weiter lesen! Sonst können unerwünschte Nebenwirkungen, wie Gähnen oder ein plötzliches unkontrolliertes Muskelzucken, auftreten …

Stille, eigene, musische Stille, ein beruhigtes Pendel, das nur seiner eigenen Gravitation gehorcht, mit der reinen Linie seiner Bahn, die durch keine fremden Einflüsse getrübt wird. Diese substanzielle Stille, positiv – voll – ist an sich schon beinah schöpferisch.
Bruno Schulz


Beobachtung eigener Bilder während der Arbeit.  Unfertige Bilder sind wahre Schätze für die Schulung unserer Wahrnehmung. Immer wieder soll man sich zurücklehnen und »unfertige« Flächen eingehend, aber in einer gemütlichen Stimmung und in einer ruhigen Umgebung, betrachten. Eine »Skizze« beinhaltet bekanntlich unzählige Möglichkeiten für die bildnerische Gestaltung – d. h. für die Entwicklung eigener Bildideen.  Das darf man nicht verschenken!  In unserem Atelier haben wir durch regelmäßige Bildbesprechungen die Kultur einer solchen Beobachtung Stück-weit schon etabliert. Es liegt aber an euch, liebe Auserwählte dies weiter zu vertiefen! Die Hauptanleitung dazu – oben genannte Schulz’sche Stille suchen; das unfertige Bild nicht gleich analysieren oder beurteilen, sondern einfach auf sich wirken lassen. Das braucht Zeit! Der gestalterische Nutzen dieser »Arbeit« spiegelt sich unweigerlich in einer neuen Leichtigkeit und einer neuen Sicherheit im Umgang mit Farben, Formen und Flächen wieder.

Beobachtung von Bildern anderer Künstler. “Das mache ich doch!”, höre ich euch ausrufen. Aber auch hierbei – ob im Museum oder in unserem Atelier – gilt dasselbe einzuüben: Vorerst keine inneren Erzählungen, keine Deutungen, kein »Verstehenwollen«, sondern seinem Wahrnehmungsapparat eine Gelegenheit – eine Chance! – geben, sich neu zu justieren. Im Museum gibt es dafür nicht nur Bilder, sondern auch Klimaanlage, angenehmes Licht, Ruhe, Stühle und Bänke – Zeit und Muße muss man allerdings selber mitbringen. … Wenn man sich mit der Kunst (auch) auf diese Weise beschäftigt, könnte man unter Umständen einen ganz anderen, neuen, ganz und gar überraschenden Zugang zu den Bildern finden und dabei eine Beglückung des Lebens erleben, wie man es früher nicht für möglich gehalten hat. Doch Vorsicht – eine plötzliche Begeisterung für Kunst kann euch in einem heftigen Sturm ergreifen und manche andere Interessen gänzlich verdrängen!

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