Im Flow der Kreativität g
Was machen wir eigentlich, wen wir Kunst machen? Welche Rolle spielt dabei unser »Produkt«, das Kunstwerk? Und: Kann es sein, dass Kunst nicht gleich Kunstwerk ist?
Diese »philosophischen« Fragen können uns nicht nur helfen, die Kunst tiefer zu verstehen, sondern auch eigene Haltung der Kunst gegenüber zu finden und neue alternative Kunstformen für sich zu entdecken.
Gerade für die Kunstliebenden in reifen Jahren können vielfältige Möglichkeiten einer unkonventionellen künstlerischen Tätigkeit neue Horizonte öffnen.
Dass wir in einer Welt leben, die ganz »natürlich« alles wie durch einen Zauberstab in Ware verwandeln kann, muss hier nicht bewiesen werden – eine Konsumgesellschaft braucht eben ständig neue Konsumgüter … Aber, dass wir genauso »natürlich« Kunst mit dem Kunstwerk gleichsetzen, bedarf Klärung.
Ein Kunstwerk wird für gewöhnlich nicht nur als Endprodukt einer künstlerischen Tätigkeit angesehen, sondern auch als deren Ziel schlechthin. Doch kann es einen Künstler ohne Werk überhaupt geben? Das ist tatsächlich selten, obwohl es durchaus Künstler gibt, die keine Werke herstellen. Aber diese Fixierung auf das Produkt, d. h. Ware (und somit Fixierung auf den Marktpreis, Prestigegehabe und Lifestyle) schüchtert nicht nur schnell ein, sondern lenkt oft von einer der wichtigsten Hauptleistungen der Kunst ab.
Sie besteht sowohl für das Kunstpublikum, das dafür Kunstwerke braucht, als auch für die Künstler, in der Möglichkeit einer vielfältigen prozessbasierten Erweiterung der Selbst- und Weltwahrnehmung.
Der Kunstkonsument wird mithilfe der Kunst-Werke eingeladen, die Gesellschaft oder die Natur oder was immer darin thematisiert wurde, doch ein wenig anders zu sehen, als ihm seine Alltagsroutine es für gewöhnlich erlaubt … Der Künstler dagegen brauch dazu nur seine Kunst! Kunstwerke braucht er nicht unbedingt. Ich möchte diese eigentlich nicht so kontroverse These am Beispiel zwei Künstlerinnen veranschaulichen, deren künstlerische Entwicklung ich seit ein paar Jahren begleiten durfte.
Eine langjährige Besucherin meiner Workshops, Else Louis ist in unserer Sinne längst eine unerschrockene Kunstabenteurerin geworden. Sie arbeitet manchmal wochenlang konzentriert an einem Bild. Ihr Werk erlebt dabei viele, oft dramatische Veränderungen und erzählt uns vom Tag zu Tag spannende Kurzgeschichten, lustige Alltagsplaudereien und allerlei andere bildnerische Anekdoten. Am Schluss wird das Bild als fertig erklärt und seelenruhig als Unterlage für andere Arbeiten benutzt. Else verändert sogar ihre besten Werke, ohne mit Wimpern zu zucken, so radikal, dass vom alten Inhalt manchmal nichts mehr übrig bleibt. Der auf das Produkt fixierte Kunstliebhaber fasst sich hier an den Kopf und bleibt sprachlos. Der Prozess des Malens reicht dieser Künstlerin völlig aus, um sowohl ihre Selbstreflexionen, ihre Gemütszustände und innere Stimmungen, als auch die vielfältigen Eindrücke aus ihrer Umgebung zu verarbeiten und zum Ausdruck zu bringen. … Aber ist das nicht bloß eine Art Maltherapie? Die Wahrheit ist, finde ich, viel schlichter – sie ist an eine Karriere als Ausstellungskünstlerin und Kunstherstellerin einfach nicht interessiert. Es ist ein fantastischer lebenbejahender Flow der Kreativität, die sie mithilfe ihrer Malerei voll auskostet – und mit ihren Mitmenschen teilt!
Eine weitere Künstlerin, die im gleichen Geist ihre Werke behandelt, ist Petra Borch. Seit mehreren Jahren porträtiert sie ihr Patenkind, das in einem Dorf in Afrika lebt. Wir kennen unzählige Gesichter dieses wunderbaren Mädchens. Aber es sind nur wenige Bilder von ihr vorhanden! Wenn Petra auf ihrer Leinwand ein »neues« Gesicht ihres Patenkinds »erkennt«, ist ihre Arbeit getan – das »Kind« kann weiter »wachsen«, der Flow der Lebensfreude kann fortgesetzt werden!
Nicht selten sind die Zuschauer geradezu entsetzt, wenn sie dieser »Vernichtung« beiwohnen. Petra weiß aber – auch weil sie in ihrer Jugend einige Zeit bei Joseph Boys studiert hat – dass das Kunstwerk manchmal des Teufels ist und dass allein ein Hier-und-Jetzt der Kunst wirklich zählt!
Unser Fazit lautet: Manchmal verschiebt sich die Gewichtung der künstlerischen Arbeit – nicht »Was ein Künstler macht« ist wichtig, sondern »Wie er Kunst macht« !
Und tatsächlich! – was für dicke »Rahmen« brauchen manche Kunstwerke, um wirken zu können?! Unsere »Kathedralen der Kunst«, die Kunstmuseen und die Kunsthallen könnten prächtiger und teurer nicht sein! Ausstellungen kosten Millionen, Museumspersonal zählt ganze Brigaden von Kunsthistoriker, Kuratoren und Kunstpädagogen. Den »Flow« von Else und Petra können sie aber oft nur erahnen lassen.
Diese beiden Frauen befinden sich in den besagten reifen Jahren, in dem sich eine solche geistige Freiheit wunderbar entfalten und dem Leben eine neue Tiefe und eine neue Schönheit verleihen kann. Ihre Kunst wirkt durch das WIE ihrer Produktion. Das Publikum sind alle, die diesem »Performance« beiwohnen – es gibt nichts, was man mit nach Hause nehmen, nichts, was man über seinem Sofa aufhängen könnte …! Die Könnerschaft ist die des Loslassens.
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g Zugunsten besserer Lesbarkeit verwende ich nur die männliche Form. Frauen sind jedoch stets mitgemeint.
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